Ein Umfrage im Auftrag des Versicherungskonzerns Allianz (Hier auf Spiegel Online) hält Überraschungen bereit. Für die Umfrage befragte das Marktforschungsinstitut Ipsos Nürnberg laut Allianz 1205 repräsentativ ausgewählte Radfahrer per Telefon:
- In insgesamt 49,4 Prozent der Fälle wären die Radfahrenden Hauptverursacher ihres Unfalls.
- So räumten 27 Prozent der befragten gut 1200 Fahrradfahrerinnen und -fahrer ein, unterwegs Musik zu hören. In der Altersgruppe von 18 bis 24 waren es sogar fast drei Viertel (71 Prozent).
- Von den 18- bis 24-Jährigen räumten elf Prozent ein, auf dem Rad häufig zu telefonieren, 15 Prozent sind häufige Kurznachrichtenschreiber.
- Nach Berechnungen der Allianz erhöht die Nutzung elektronischer Geräte das Unfallrisiko auch im vergleichsweise langsamen Radverkehr erheblich. Wer Kopfhörer trägt, hat demnach eine um über 50 Prozent erhöhte Unfallgefahr. Ähnliches gilt für den Blick aufs Navigationsgerät: »Das lenkt deutlich vom Straßenverkehr ab und erhöht das Unfallrisiko um fast 40 Prozent«, sagte Allianz-Vorstandsmitglied Jochen Haug.
Leider findet sich weder die Umfrage, noch die dazugehörigen Zahlen auf den Seiten der Allianz. Auch eine Nachfrage bei den zuständigen Stellen führten bislang zu keinem Ergebnis. Kritik ist deshalb angebracht:
- Erfahrungen zeigen, dass die Qualität solcher Befragungen eher niedrig zu bewerten ist. Fehlen Aussagen zur Erhebung und zu den konkreten Fragestellungen, können Ergebnisse leicht manipuliert werden.
- Laut Statistischem Bundesamt sind bei rund 18% der Unfälle Radfahrer die Hauptverursacher.
- 2015 wurde die gleiche Befragung vom gleichen Institut durchgeführt (mit den gleichen Ergebnissen). Dort wurde eine Grafik erstellt, nach der lediglich 4% der Radfahrenden regelmäßig Kopfhörer nutzen, „Hin und Wieder“ ist eine andere Aussage. Diese Info fehlen diesmal.
- Die Zahl der häufigen Telefonierer und Kurznachrichtenschreiber darf auch stark angezweifelt werden. Hier fehlen belastbare Untersuchungen, im Alltag sieht man sowas aber nur selten. Es ist halt recht unbequem, nur mit einer Hand oder sogar freihändig zu fahren.
- Und nicht zuletzt liefert die Allianz keine Informationen zu den Berechnungen bez. der Unfallrisiken von Kopfhörern und Navigationsgeräten. Woher diese Zahlen kommen, ist offen.
Im günstigen Fall könnte ein Fazit lauten „gut gemeint aber schlecht gemacht“. Ein Appell zu mehr Aufmerksamkeit im Straßenverkehr ist immer richtig. Im schlechteren Fall reiht sich dieser Artikel in weitere Versuche ein, die Hauptlast der hohen Unfallzahlen den Radfahrenden anzulasten. Ziel wäre, den RadlerInnen eine generelle Mitschuld zuzusprechen („Kein Helm getragen“, „nicht aufgepasst“ etc.) und Unfallkosten auf Seiten der Versicherungen zu sparen.
Wir bleiben dran…
Nachtrag 1:
Wie beschrieben hat das gleiche Umfrageinstitut die gleiche Umfrage bereits 2015 mit den gleichen Ergebnisse durchgeführt. Auch hier lassen sich keine Hintergrundinformationen finden. Allerdings zeigte der Artikel in der WELT die damalige Intention deutlich auf:
„Zwar werde bei der Verteilung der Schuld die hohe sogenannte Betriebsgefahr des Autos berücksichtigt. Doch wenn der Verstoß des Fahrradfahrers besonders schwer sei, könne auch ihm die volle Schuld zugesprochen werden. Als Folge daraus verliert er alle Ansprüche auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld gegen den Autofahrer.“ Dieses Mal wurde auf diesen Zusatz verzichtet.
Nachtrag 2:
Auf Anfrage wurde mitgeteilt, dass die dazugehörigen Daten erst im ersten Quartal 2022 vorliegen würden. Wie beschrieben, wir bleiben dran…
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